6 Monate Schreibaby – So haben wir überlebt

Ich schreibe ja eigentlich nicht so gerne Tipps rund um das Familienleben hier im Blog. Zum einen gibt es die meisten davon eh schon wie Sand am Meer und eine weitere Sammlung wäre unnötig. Außerdem halte ich mich bei den meisten Themen nicht für DIE Expertin, auf die man unbedingt hören sollte. Doch wenn wir mal eine schwierige Phase durchlebt haben, mache ich mir schon manchmal Gedanken, ob meine Erfahrungen anderen vielleicht helfen könnten.

Beim Thema Schreibaby glaube ich das tatsächlich. Unser Alltag bestand in den ersten drei Monaten mit Karli zu 50% daraus, dass einer von uns das schreiende Baby herumgetragen hat. Weitere drei Monate lebten wir mit einem unzufriedenem, leicht reizbaren Baby zusammen, das stets mindestens zwei Stunden vor dem Schlafen am Abend durchgebrüllt hat.

Vieles was ich in unserer Hochphase darüber gelesen habe, waren entweder Tipps von Experten, die mit Sicherheit kein Schreibaby zu Hause hatten oder Erfahrungsberichte, die mir wenig Mut gemacht haben, weil sie auf mich viel zu harmlos und beschönigt wirkten. Doch wie soll es einer Mama, die gerade total verzweifelt und überrumpelt von ihren Gefühlen ist, helfen, wenn sie nur von scheinbar starken Frauen liest, die diese hoch emotionale Phase lediglich als „anstrengend“ titulieren? Sollte ich nach Adjektiven suchen, die diese Zeit zutreffend beschreiben, fielen mit deutlich mehr ein. Kräftezehrend, verzweifelt, hoffnungslos, müde, mürbe, hilflos, enttäuscht und ach was weiß ich noch.

Doch am Ende haben wir es gemeinsam überstanden. Und auch wenn wir selten Wege gefunden haben, das Kind zu beruhigen, so gab es doch Dinge, die uns wenigstens dabei geholfen haben, das Ganze besser aushalten zu können.

Schreibaby, High-Need, Nerven

Am Anfang habe ich wirklich jedes Mal, sobald Karli ruhig uns zufrieden wirkte, versucht, irgendetwas zu erledigen. Schnell die Wäsche machen, kurz die Spülmaschine ausräumen, mal eben duschen oder, oder… leider immer wieder mit dem Ergebnis, dass ich zig angefangene Baustellen aber nicht eine fertige vorfand. Neben dem Geschrei sorgte das Gefühl nichts mehr gewuppt zu bekommen also für zusätzlichen Frust. Irgendwann habe ich jedoch begriffen, dass ich das Baby auch mal genießen muss. Deshalb habe ich den Haushalt öfter bewusst liegen lassen und stattdessen die Ruhe, jedes Lächeln und freudige Glucksen aufgesaugt, damit es auch ja in meinem Kopf bleibt. Für mich war das wie Liebe auftanken und irgendwann einfach wichtiger als eine geputze Bude.

Wir haben außerdem festgestellt, dass etwas ruhige, klassische Musik uns allen half, wenn der Stresspegel aufgrund des Schreiens mal wieder ins unermessliche stieg. Bei allen Beteiligten zeigte sich eine etwas beruhigende Wirkung. Ich bilde mir ein, sogar bei Karli. Auf jeden Fall aber konnten wir Karli gegenüber so länger ruhig und liebevoll bleiben.

Um den Lärmpegel besser ertragen zu können, wenn am Abend mal wieder nichts funktionierte, half es papAhoi nach einem langen Arbeitstag mit vielen Telefonaten zum Beispiel auch, sich Kopfhörer aufzusetzen, während er das brüllende Bündel umhertrug und zu beruhigen versuchte.

Dienstreisen von papAhoi haben mir zu diesem Zeitpunkt jedes Mal eine wahnsinns Angst eingejagt. Ich wusste einfach nicht mehr, wie ich das alles ertragen soll, ohne dass mir ab und zu Mal jemand auf die Schulter klopft, mich ablöst oder einfach nur bei mir ist. In dieser Zeit habe ich mir Unterstützung geholt. Ich bin ein paar Tage zu meinen Eltern gefahren, habe sie oder die Schwiegermama gebeten herzukommen und auch mal über Nacht zu bleiben. Für Smarti haben wir außerdem ab und zu Ausflüge am Nachmittag mit ihrem Opa geplant, damit sie auch mal ihre Ruhe haben und ich mich allein auf Karli konzentrieren konnte. Es war wirklich wichtig, dass ich in dieser Zeit nicht alleine war, so schwer es mir auch gefallen ist, immer wieder um Hilfe bitten zu müssen.

Irgendwann kam der Tag trotzdem. Auch mit unseren vielen und guten Methoden, den Stress im Zaum zu halten, war ich nach über 4 Monaten einfach am Ende meiner Nerven und wusste nicht mehr, wie ich dieses ständige Geschrei auch nur noch einen Tag aushalten sollte. Wir hatten uns sehr daran geklammert, dass der Spuk nach 12 Wochen langsam vorbei sein würde, doch ein Ende war nicht in Sicht. Ich hatte zwischendurch wirklich Angst, ich könnte dem Baby irgendwann doch mal etwas antun, denn ich merkte, wie mein Mitleid immer schneller aufgebraucht war. Ich war längst nicht mehr so sanft und ruhig mit ihr, war verzweifelt, ratlos, fühlte mich machtlos und verletzt. Manchmal bin ich dann an dem Punkt angelagt, wo mein Gedankenkarussel sich nur noch darum drehte, dass dieses Baby das Wichtigste, was ich ihr geben kann – meine Liebe, Nähe und Geborgenheit – einfach nicht wollte. Dann wusste ich, es ist höchste Zeit, sie kurz wegzulegen, tief Luft zu holen und dafür zu sorgen, dass meine Verzweiflung nicht in Wut umschlägt. Heulen, Essen, kurz vor die Zimmertür gehen und dort ganz bewusst tief ein- und ausatmen, Karli schnell ins Tuch packen und mit ihr rausgehen. Das waren meine Methoden, wenn ich alleine war und mir gerade niemand da war, obwohl ich nicht mehr konnte. Vor allem draußen fühlte ich mich immer schnell besser, selbst wenn Karli dort noch weiter schrie. Am Abend half dann viel Reden mit papAhoi – auch über meine Ängste. So hart es auch war ihm das zu gestehen – danach zu wissen, dass er mich nicht für eine Rabenmutter hielt und meine Verzweiflung sogar verstehen konnte, war gut.

Ein Fehler, der mir erst im Nachhinein bewusst wird, war, Freunden nicht zu sagen, dass ich mir sehnlichst Ablenkung wünschte und wenigstens kurze Treffen & Gespräche dringend gebraucht hätte. Meine Freunde dachten, ich hätte genug zu tun unseren Alltag irgendwie zu überstehen und würde mich melden, wenn es wieder ruhiger wäre. Die Info, dass ich mich trotz vollem Tag einsam gefühlt habe, wäre für sie sehr hilfreich gewesen.

Natürlich sind all diese Punkte sehr subjektiv und kein Patentrezept für starke Nerven. Aber vielleicht fühlen sich die ein oder anderen Eltern beim Lesen ja schon etwas besser, weil sie wissen, dass andere Eltern Ähnliches durchleben. Denn das ist bei allem was ich bisher zum Thema Schreibaby geschrieben habe, das häufigste Feedback: „Danke für die ehrlichen Worte. Schön zu wissen, dass ich nicht alleine bin.“

Sich nicht allein fühlen. In meinen Augen das Wichtigste überhaupt.“

5 Gedanken zu “6 Monate Schreibaby – So haben wir überlebt

  1. Schöner, einfühlsam geschriebener Erfahrungsbericht, danke! Ich kann mir gut vorstellen, dass das Müttern – und Vätern – hilft, die gerade in der Situation sind! Sich mit seinen Gefühlen „gespiegelt“ zu fühlen ist ja oft das, was hilft:-) Und deine Tipps finde ich konkret und hilfreich! Lieben Gruß, Sunnybee

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  2. Hi… beim Lesen kamen mir fast die Tränen… und zwar weil ich das kenne… auch wenn unsere Situstion mittlerweile 6 Jahre her ist… ist diese Zeit immer noch fest eingebrannt in meinem Leben… und du hast Recht… auch mir fallen so viel mehr Wörter ein, die diese Zeit beschreiben…. ich habe diese Zeit als die schrecklichste Zeit in meinem Leben empfunden… und spricht man das laut aus, wird man angeschaut, als würde man das eigene Baby hassen… was auf keinen Fall so ist! Man ist einfach und absolut maßlos überfordert und hilflos!
    Unsere Maus hat 6 volle Monate jeden Tag 12-18 Stunden geschrieen…. JEDEN TAG…. auch wir haben alles mögliche versucht und jede Nacht war ich im Schlafanzug und Jacke vor unserer Haustür und habe sie stundenlang hin und her gefahren…
    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass niemand dich auch nur im geringsten verstehen kann, der nicht das gleiche durchgemacht hat… schlussendlich half nix außer aushalten…. und weiter lieben!
    Auch ich hab die kleine Maus schon mal in ihr Bettchen gelegt und bin heulend aus dem Zimmer gerannt… Tür zu…. atmen! Nach 2 min rein gehen und irgendwie durchhalten… Tag und Nacht das gleiche…
    Es war unser 1 Kind und ich dachte ich habe als Mutter versagt und tu meinem Kind nicht gut… doch mut unserem 2 durfte ich erleben wie es ist ein „normales“ Baby zu haben… und dass man manchmal einfach nix tun kann… und ein Schreibaby nicht aussagt, dass man versagt hat!
    Mittlerweile wissen wir was unsere Maus hatte und aus welchen Gründen sie so extrem schrie…
    Du hast Recht! Um die Zeit irgendwie zu überstehen muss man sich Hilfe holen, ablenken und reden, zu Hause alles liegen lassen und einfach einen Tag nach dem anderen Leben…!
    Danke für den Beitrag! 🙂

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  3. Hallo liebe Kerstin,
    vielen Dank, das du deine Erfahrung teilst und uns die Gewissheit gibst, nicht allein Tag und Nacht mit einem schreienden kleinen Bündel voller Leid auf dem Arm herum zu laufen. Diesen verzweifelten Blick in seinen Augen werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen.
    Wie sieht euer jetziges gemeinsames Leben aus? Hat sich die Unzufriedenheit bei eurem Kleinen ein bisschen gelegt?
    Unser Kleiner ist nun 5 einhalb Monate und ähnlich wie bei euch aus dem Schreien heraus in eine Dauerquengelphase mit ständiger Tendenz zum erneuten unstillbare Schreien gekommen. Wir hatten soooo gehoft die Zeit einfach nur durchhalten zu müssen, aber nun klammerte ich mich aus Verzweiflung an jeden Strohhalm.
    Ich wurde mich über mich freuen, wenn du dich meldest.

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    • Hallo Franzi, ihr seid ganz gewiss nicht alleine!!!
      Unsere Karli ist jetzt 3 1/2 Jahre und sehr temperamentvoll. Sie nimmt auch in der Autonomiephase alles mit, was geht und ist noch immer ziemlich laut. Allerdings ist sie auch im positiven Sinne sehr emotional & einfühlsam.
      Es ist unbeschreiblich, was für eine enge Bindung wir haben und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Schreiphase stark dazu beigetragen hat.
      Ich frag mich heute noch warum das alles so schwierig war. Karli leidet heute noch sehhhhr doll unter Wachstumsschmerzen. Wer weiß ob sie das schon als Baby fertig gemacht hat.
      Haltet durch! Es wird auf jeden Fall besser. Auch wenn man nicht voraussagen kann, wann. Du wirst am Ende bestimmt mega stolz sein, wenn du auf die Zeit zurückblickst!

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